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Zu den "Lebensstürmen"

Klassik heute:

"Der Komponisten Heinz Winbeck (1946 -2019) stand Zeit seines Lebens nicht so
sehr im Rampenlicht – vermutlich, weil er sich den zeitgeistigen Moden
verweigerte, sich dafür aber umso kompromissloser der Wahrheit der eigenen
inneren Empfindungen stellte. Seine orchestrale Bearbeitung von Franz
Schuberts Lebensstürme-Zyklus ist jetzt auf CD erschienen und lässt
Vergangenheit und Gegenwart in einem großen Spannungsbogen
zusammenfließen. Die Innenwelt, in der es auch stürmisch zugeht, war auf jeden
Fall Heinz Winbecks Sache, wie er es selber zum Ausdruck brachte: „Ich bringe
buchstäblich nur das zu Papier, das, würde ich es nicht tun, mich zersprengte."
Die Aufnahme, erschienen bei Sonus Eterna, dokumentiert eine Aufführung, die
unter der Leitung von Dennis Russell Davies mit dem Basel Sinfonieorchester und
dem Bariton Martin Achrainer eingespielt wurde. Im Mittelpunkt des Programms
steht der ursprünglich für vierhändiges Klavier komponierte
Sonatensatz Lebensstürme (D 947), den Winbeck für Orchester neu arrangiert
hat. Ergänzt wird diese Orchestrierung durch das Klavierstück Rondeau
brillant (D 823) sowie durch einige Tänze. Vor allem aber bereichern ausgewählte
Lieder von Franz Schubert die Dramaturgie, darunter Im Abendroth, Sehnsucht,
An mein Herz, Waldesnacht und Herbst.
Wesensverwandschaft
Musik als Metapher für den inneren Aufruhr und für die unausweichlichen Kämpfe
des menschlichen Daseins – solche Assoziationen beim Hören belegen die
Wesensverwandtschaft zwischen dem großen Romantiker Franz Schubert und
Heinz Winbeck, eine der herausragenden, wenn auch „stilleren" Stimmen der
Nachkriegsmoderne. Klar erkennbar ist Winbecks zentrales Anliegen, Schuberts
Musik in seiner eigenen Tonsprache zu reflektieren, ohne dabei der Versuchung
zu erliegen, die Original durch moderne Effekthascherei anzutasten oder
geschmäcklerisch zu verwässern. Im Gesamtkontext gelingt es somit, der
Schubertschen Ausdruckswelt neue, heutige Kontexte hinzuzufügen bei Erhaltung
und Bekräftigung des Wesenskerns.
Eigene Diktion
Nur sparsame zusätzliche Instrumentierungen erlaubte sich Winbeck in den
Liedern. Umso mehr gestalterische Wucht entfalten die neuen Zwischenspiele als
inszenierte Stimmungswechsel als Übergänge in etwas anderes, vielleicht
emotional Konträres. Was Schubert oft mit ganz zarten Tonartenwechseln
hinbekommt, beantwortet Winbeck in einer eigenen betont orchestralen Diktion,
zu der abrupte rhythmische Wechseln und auch dissonante Harmonieverläufe,
mit denen Schubert „weitergedacht“ wird, als Stilmittel fungieren.
Ein herausragendes Beispiel dafür ist gleich der zweite Track auf dieser CD, eine
Fuge, welche Winbeck als Bindeglied zwischen dem Lied Oh wie schön ist deine
Welt und dem beklemmenden Die Scheibe friert kreiert hat. Getrieben von
drängenden Synkopen und einem subtilen Schlagwerk, baut sich immer mehr
dramatische Spannung auf, die schließlich in einem mächtigen
Orchestercrescendo alles zu verschlingen droht. Winbeck erweiterte
Schuberts Lebensstürme nicht nur durch selbst komponierte sinfonische
Intermezzi, sondern ergänzte das Programm um weitere Schubert-
Kompositionen, darunter ausgewählte Lieder und das Rondeau brillant (D 823).
Tiefgründige emotionale Struktur
Die Interpretation des Basel Sinfonieorchesters unter Dennis Russell Davies
bringt sämtliche feinen Schichten der Komposition meisterhaft zur Geltung.
Davies, ein Dirigent, der Winbecks Werk wie kaum ein anderer versteht, hebt die
subtile Dramaturgie und die tiefgründige emotionale Struktur der Musik hervor.
Der Bariton Martin Achrainer trägt maßgeblich dazu bei, dass die emotionale
Kraft des Werkes unmittelbar spürbar wird. Beeindruckend sind immer wieder
jene Momente, in denen nach mächtigem Orchestertutti plötzlich wieder die
Hörbühne allein für diesen strahlkräftigen Sologesang bereitet ist, der mit vielen
emotionalen Farben gepaart mit bestechender Klarheit für vokale
Überzeugungskraft sorgt.
Die Lebensstürme-CD kann als idealer Hör-Einstieg fungieren, um von hier aus
tiefer in das Œuvre dieses Komponisten vorzudringen. Der einfühlsam und
kenntnisreich geschriebene Booklet-Text von Norbert Florian Schuck bietet eine
weitere informative Hilfestellung, ebenso wie die Cover-Fotos mit ihrer einsamen,
kargen Winterlandschaft und dem etwas „verwunschen" anmutenden Haus des
Komponisten das hier mit allen Sinnen spürbare künstlerische Anliegen
versinnbildlichen.
Stefan Pieper [23.08.2024]"

Ein Dialog zwischen Tradition und Moderne
Untertitel
Heinz Winbecks „Lebensstürme“ auf CD
Vorspann / Teaser
Mit „Lebensstürme“ entdeckte das Label Sonus Eterna, geleitet durch Masha
Dimitrieva, ein bedeutendes Werk der bayerischen Moderne und bringt es nach
den ersten Aufführungen 2011 und 2012 erstmals einem größeren Publikum zu
Gehör.
Autor
DTKV Bayern (Red.)
Oliver Fraenzke
Publikationsdatum 01.11.2024
Ausgabe 11/2024 - 73. Jahrgang
Heinz Winbeck: Lebensstürme
Basel Symphony Orchestra. Dennis Russell Davies (Dirigent),
Martin Achrainer (Bariton), Maki Namekawa (Klavier), Sonus
Eterna 37423

"Heinz Winbeck steht zentral im bayerischen Kulturleben der zweiten Hälfte des
20. Jahrhunderts und des frühen 21. Jahrhunderts und ist doch ganz unbekannt
geblieben. Lediglich 27 Kompositionen umfasst das Oeuvre des 1946 in Pifas bei
Landsburg geborenen Musikers, denn seine Musik beschreibt Bekenntnismusik
und nur eine durchlebte und durchlittene Note schafft es aufs Papier – dafür
dann direkt auf die Folien für die Druckvorlagen. Zunächst studierte Winbeck
Klavier und Dirigat, wechselte 1969 in die Kompositionsklasse von Harald
Genzmer, dessen Unterrichtsweise ihm jedoch zu beschneidend erschien. So
wechselte er in die sich mehr mit der Neuen Musik auseinandersetzende Klasse
von Günter Bialas. Die Nachkriegsavantgarde interessierte Winbeck, ohne dass
er sich mit ihr hätte identifizieren können und so kam der entscheidende Impuls
von Wilhelm Killmayer, dass Tonalität und Moderne sich nicht auszuschließen
haben, sondern einen Dialog führen können.
Dabei sei das Wort Dialog wörtlich gemeint, denn Winbeck verwies in nahezu
jedem seiner größeren Werke auf ihm wichtige Komponisten und Werke, zitierte
oder integrierte die Einflüsse, schuf dabei trotzdem keine epigonalen Klischees,
sondern schrieb ganz und gar vorwärtsgewandt. Die Musik erscheint wie im
Gespräch mit den Kollegen vergangener Epochen. Vor der Öffentlichkeit blieb
Winbeck zeitlebens recht zurückgezogen, er komponierte in Abgeschiedenheit
und mied auch sonst größere Ansammlungen. Ab 1980 wirkte er als
Kompositionslehrer. Als Heinz Winbeck 2019 in Regensburg verstarb, blickte er
zurück auf fünf Symphonien, mehrere große Orchesterwerke, einen Liedzyklus
und mehrere Kammermusikwerke, vor allem Streichquartette.
Die Lebensstürme entstanden gegen Ende der 2000er-Jahre aufgrund
verschiedener Einflüsse: Choreograph Jochen Ulrich wünschte sich ein
Tanztheaterprojekt auf Basis von Schuberts Winterreise, Dirigent Dennis Russell
Davies wollte den Streicherstücken originale Schubert-Lieder beigemischt wissen
– und Ulrich fügte hinzu, dass eine lebenszugewandte Musik als Hinführung zur
dramatisch-düsteren Winterreise dienen solle. Da ihm in der Auswahl und
Konzeption sonst freie Hand gelassen wurde, sagte Winbeck gerne zu und
schrieb einen Zyklus für Streicher, Horn und Baritonstimme mit Aufgriff
originaler Schubert-Lieder in eigener Orchestration sowie mit Anlehnungen an
die Lebensstürme und das Rondeau brillant sowie Der Tod und das Mädchen.
Doch statt eines Potpourris entstand ein in sich funktionierendes und
eigenständig modernes Werk, das die Handschrift Winbecks trägt. Die Melodien
Schuberts dienen lediglich als Fundament, als Knochen, über denen sich das
Fleisch der Komposition entfaltet. Winbeck lässt die Lieder in ganz neuem Glanz
erstrahlen durch gekonnte, subtile Instrumentierungen, kommentiert und
erweitert sie durch die reinen Orchesterstücke und treibt sie immer wieder ans
Limit zwischen absoluter Lebenslust, Resignation und Verzweiflung. Die Musik
erscheint luzide durchgehört wie auch klar in der Aussage ohne jegliche
überflüssige Note, dabei doch stellenweise geballt verdichtet für besondere
Momente, wo auch die tonale Bindung an Grenzen getrieben wird, ohne
willkürlich zu zerfasern.
Die Aufnahme entstammt einem neu gemasterten Konzertmitschnitt von 2012
mit dem Basel Symphony Orchestra und Dirigent wie Solisten der Uraufführung:
Dennis Russell Davies, dem Bariton Martin Achrainer und Maki Namekawa am
Klavier. Dank dem ausführlichen Booklet von Norbert Florian Schuck erfahren
wir fundiert über Leben und detailliert auch Schaffen von Heinz Winbeck. Eine
vollkommen gelungene Aufführung, die genauso individuell auf die Musik
eingeht, wie Winbeck selbst und nicht zwischen „alt“ und „neu“ aufspalten will,
sondern die Musik so betrachtet und umsetzt, wie sie ist."


Aus den Kommentaren zum mehrfach ausgezeichneten posthum erschienenen CD-Set der fünf Symphonien von Heinz Winbeck




"Keine leichte Kost, aber ohne Zweifel ein Meilenstein in der Symphonik unserer Zeit...Bei Heinz Winbeck liegt es nahe, ihn in die Reihe der großen Symphoniker zu stellen, die wohl bei Haydn und Beethoven beginnt, aber – bei wem endet? Endet sie überhaupt?...Für jeden aufgeschlossenen Hörer, der vorurteilsfrei die Musik dieses (vermutlich) letzten der symphonischen Titanen kennenlernen möchte, lohnt sich die Reise in Winbecks symphonische Welt aber definitiv."
Dr. Michael Loos, KLASSIK.COM den 02.12.2019


"Als sie (die Sinfonien) entstanden, kamen sie zu früh. Jetzt bestürzen sie immer noch durch ihren Kosmos aktueller Unabänderlichkeiten."
Hanspeter Krellmann, NMZ den 24.02.2020


"That Heinz Winbeck was relatively unknown outside his native Germany only confirms the lack of recognition accorded Austro-German symphonism in the post-war era, to which this set of his symphonies makes handsome while regrettably posthumous amends."
Richard Whitehouse, Gramophone den 19.3.2020


"...“Jetzt und in der Stunde des Todes“ heißt das 2009 entstandene Werk, das trotz rückhaltlos offener Klangsprache eine innere Geschlossenheit eigener Prägung aufweist. ...Die restlichen Einspielungen unter Davies präsentieren Winbeck als eindringlichen handwerklich souveränen Symphoniker, der Komponieren immer als Auseinandersetzung mit Leben und Tod begriffen hat."
Wmg, Frankfurter Allgemeine Zeitung den 31.03.2020





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